PROMISES OF MONSTERS
25. Mai - 2. Juli 2017
Eine Gruppenausstellung mit Alice Peragine, d-n-e, Lu Yang, Marcin Pietruszewski, Marianne Vlaschits, Michaela Melián, Pinar Yoldas, einem kuratierten Archiv und Nischen zum Verweilen.
Sci-Fi-Shorts von Larissa Sansour & Søren Lind, Marie-Eve Levasseur, Stephanie Comilang und Wanuri Kahiu.
Ausstellungsbroschüre zum Download
“[D]ie Grenze, die gesellschaftliche Realität von Science Fiction trennt, ist eine optische Täuschung”, schrieb die Biologin und Philosophin Donna Haraway bereits vor drei Jahrzehnten in ihrem viel zitierten Cyborg Manifest (1985), um den Zusammenhang von Fiktion, Erkenntnis und Konstruktion von gesellschaftlichen Wirklichkeiten zu betonen.1 Die Gruppenausstellung Promises of Monsters nimmt die Genres der Science Fiction und der Visionary Fiction zum konzeptionellen Ausgangspunkt, um diesen Zusammenhang zu untersuchen.
Dies nicht nur, weil sich frühere Techno-Fantasien, etwa von selbstfahrenden Autos und denkenden Computern, nach und nach zu erfüllen scheinen, sondern auch, um den Einfluss von Technologie im persönlichen sowie gesellschaftlichen Kontext mit den Mitteln der Kunst kritisch zu reflektieren und Alternativen zu entwickeln. Denn durch die technologischen Möglichkeiten - so zeigen es auch die aktuellen Diskussionen um den möglichen Einfluss digitaler Technologien auf gesellschaftliche Stimmungen - ist das Geschichtenerzählen zu einem machtvollen Mittel geworden, das akut auf die Realität zurückwirkt. So konstatierte die Literaturwissenschaftlerin Kathrin Röggla kürzlich in einem Interview im Deutschlandfunk: “Narration ist realitätsmächtig. Sie ist ausgewandert aus der Literatur - hinein in Wirtschaft und Politik.”2 Entscheidungen würden hier zunehmend auf Grundlage von Spekulationen und Zukunftsszenarien gefällt. Daher gelte es, sich die Strategie des spekulativen Geschichtenerzählens bewusst anzueignen und “mit viel Phantasie wieder Utopien zu entwerfen und die Zukunft nicht als etwas Starres zu begreifen”. Wenn die Zukunft aktuell also als dunkles Risikoszenario beschrieben wird, auf dessen Eintreten folgemächtig spekuliert wird, dann können und müssen künstlerische Narrationen Zukunftsvisionen zurückerobern.
Hier setzt die Visionary Fiction an. Sie verbindet Spekulation auf zukünftige Lebenswelten mit der kritischen Betrachtung ganz realer Formen von sozialer Herrschaft und gesellschaftlicher Ungleichheit. Die Autorin und Aktivistin Walidah Imarisha schreibt: “It allows us to imagine possibilities outside of what exists today. The only way we know we can challenge the divine right of kings is by being able to imagine a world where kings no longer rule us - or do not even exist.”3
Abseits von konventionellen popkulturellen Formaten findet man aktuell in der Gegenwartskunst viele Künstler_innen, die die Bilderwelten und Erzählstrategien der Science Fiction sowie der Visionary Fiction zum Ausgangspunkt nehmen, um über die Möglichkeiten der Technik und ihre Machtpotentiale zu spekulieren. Ihre Arbeiten erschaffen utopische und dystopische Szenarien, in denen dominante Regelsysteme außer Kraft gesetzt und tradierte Erzählungen in eine Vielzahl möglicher Perspektiven zersplittert werden. Der Arbeitstitel der Ausstellung verweist in diesem Sinne auf ein im Jahr 1992 erschienenes Essay Haraways, “The Promises of Monsters”, in welchem sie deutlich macht, dass hegemoniale Erzählungen auch anders oder gänzlich neu geschrieben werden können. Dabei hebt sie das emanzipatorische Potential der Science Fiction hervor. In der Welt der Monster, die Haraway beschreibt, werden tradierte Begriffe und Kategorien ausgehebelt und all jene “monströsen” Anderen willkommen geheißen, deren Identität, Geschlecht und Status von bestehenden Regelsystemen abweichen und damit Gewissheiten ins Wanken bringen. Neben den Schriften Donna Haraways, deren “Manifest für einen Cyborg” (1985) zur Wegmarke des frühen Cyberfeminismus wurde, stellt auch das “Xenofeministische Manifest” des Kollektivs Laboria Cuboniks einen wichtigen Bezugspunkt der Gruppenausstellung im Kunstverein Hildesheim dar. Das 2015 veröffentlichte Manifest, das gedanklich das “Manifest für einen Cyborg” fortsetzt, gilt als theoretische Grundlage zur Wiederbelebung eines emanzipatorischen Denkens und Handelns an der Schnittstelle von feministischer Theorie und Technologie.
Davon ausgehend verstehen wir die Ausstellung Promises of Monsters als Ort der kulturellen Praxis und Raum für gemeinsame kritische Reflexion sowohl über aktuelle Formen (wirtschaftlicher, politischer, kultureller und technologischer) Hegemonien als auch über mögliche Alternativen. Der Ausstellungsraum ist also nicht nur Präsentationsfläche zeitgenössischer Kunst, sondern darüber hinaus - frei nach Donna Haraway - als eine “Kontaktzone” konzipiert, in der sich Begegnungen mit dem Unerwarteten, Fremden und Zukünftigen ereignen. Konkret bedeutet dies, dass es im Ausstellungsraum Orte geben wird, an denen verweilt, gelesen und diskutiert werden kann. Durch die ausgewählten Kunstwerke, die gezielte Inszenierung des Raums, eine Auswahl von Texten, sowie durch das umfangreiche Rahmen- und Vermittlungsprogramm soll die Ausstellung einen Dialog über Gegenwärtiges und Zukünftiges anregen. Über diese spielerisch-künstlerische Auseinandersetzung will die Ausstellung Momente der Neuperspektivierung ermöglichen und ein Verständnis für das Andere vermitteln, auch um aktuellen Tendenzen der kulturellen Abschottung und Intoleranz mit den Mitteln der Kunst entgegenzuwirken.
1 Haraway, Donna: Ein Manifest fur Cyborgs.Feminismus im Streit mit den Technowissenschaften. In: Haraway, Donna: Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen. Frankfurt a. M. und New York 1995. S. 33- 72. (Erstmals erschienen unter: Haraway, Donna: Manifesto for Cyborgs: Science, Technology, and Socialist Feminism in the 1980’s. In: Socialist Review 80. 1985. S. 65-108.), online unter: http://www.medientheorie.com/doc/haraway_manifesto.pdf.
2 Deutschlandfunk: Utopie in der Literatur. Geschichten als Möglichkeitsraum. Kathrin Röggla im Gespräch mit Frank Meyer, Beitrag vom 19.12.2016, online unter: http://www.deutschlandradiokultur.de/utopie-in-der-literatur-geschichten-als-moeglichkeitsraum.1270.de.html?dram%3Aarticle_id=374278.
3 What is ‘Visionary Fiction’?: An Interview with Walidah Imarisha, in: EAP: THE MAGAZINE, online unter: http://exterminatingangel.com/eap-the-magazine/what-is-visionary-fiction-an-interview-with-walidah-imarisha/.
RAHMENPROGRAMM
Donnerstag, 25.05.
KURATORINNENRUNDGANG
durch die Ausstellung mit Nora Brünger, Lisa Paland und Nada Schroer
18 Uhr
HÖRSPIELABEND
Michalea Melián: Electric Ladyland
19 Uhr (im Anschluss an den Rundgang)
Das Hörspiel Electric Ladyland nimmt die Arie der Olympia im zweiten Akt der Oper Hoffmanns Erzählungen. Les Contes d'Hoffmann von Jacques Offenbach zum Ausgangspunkt. Die Figur der Automatenpuppe, die bereits bei E.T.A. Hoffmann auftaucht, ist wunderschön und kann bezaubernd tanzen, bringt jedoch nur die Silbe „Ach“ hervor. Michaela Melián kreiert eine Welt des Klangs, in der technoide Frauenbilder, technische Mythen und Mensch-Maschine-Beziehungen verhandelt werden.
In Zusammenarbeit mit BR Hörspiel und Medienkunst.
Dienstag, 06.06.
LU YANG: UTERUS MAN
Eröffnung im KR53
19 Uhr
Freitag, 09.06.
WALK IM ÖFFENTICHEN RAUM
Commoonity (in Kooperation mit PROSANOVA | 17 )
20 – 1 Uhr
Die Ausstellung ist im Rahmen des PROSANOVA | 17 Festival für junge Literatur als Station der Veranstaltung Commoonity bis 1 Uhr nachts geöffnet.
Mehr Infos unter: www.prosanova.net
Samstag, 17.06
THEMENTAG
“Eine affirmative Kreatur in der Offensive” – Annäherungen an Techno-, Cyber- und Xenofeminismus
WORKSHOP
Space Play mit Josefine Soppa und Laura Bleck
12 – 16 Uhr
PERFORMANCE
Translucent von Alice Peragine
17 Uhr
PANEL-DISKUSSION
mit Kathrin Audehm, Claude Draude, Ulla Heinrich, Konstanze Schütze und Alice Peragine
18 – 20 Uhr, im &büro
Sonntag, 02.07.
KURATORINNENRUNDGANG
durch die Ausstellung mit Nada Schroer
15 Uhr
FILMABEND
Feminist Sci-Fi-Shorts (in Kooperation mit dem &büro)
19 Uhr, im &büro
Als abschließende Veranstaltung zur Ausstellung werden im &büro experimentelle Science-Fiction-Kurzfilme und Videoarbeiten von Stephanie Comilang, Marie-Eve Levasseur, Larissa Sansour & Søren Lind und Wanuri Kahiu gezeigt.
ENGLISH:
“The frontier, separating the social reality of science fiction is an optical illusion”, wrote the biologist and philosopher Donna Haraway three decades ago in her much quoted “Cyborg Manifesto” (1985) examining the link between fiction, knowledge and construction of social realities. In the group exhibition Promises of Monsters the genres of science fiction and visionary fiction become the conceptual starting points in order to investigate that connection. Today the confrontation with science fiction is more recent than ever, not only because former techno-fantasies, such as self-propelling cars and thinking computers, seem to fulfill gradually - but also because that genre provides all means to interrogate the influence of technology in personal as well as in societal contexts and to question their emancipatory potential. Science fiction, writes Istvan Csicsery-Ronay Jr. in his book “The Seven Beauties of Science Fiction” (2008), is not just a literary genre, but a specific way of life dealing with reality as “[…] a kind of awareness we might call science-fictionality, a mode of response that frames and tests experiences as if they were aspects of a work of science fiction.”1
Apart from conventional pop cultural formats, many contemporary artists currently take images and narrative strategies of science fiction and visionary fiction as their starting point to speculate about the possibilities of technology and its potentials. Their work creates utopian and dystopian scenarios in which dominant systems are overwritten and traditional narratives are fragmented into a multitude of possible perspectives. The title of the exhibition points to an essay published by Haraway in 1992, “The Promises of Monsters”, in which she makes clear that hegemonic narratives can be told differently or be overthrown completely. It highlights the emancipatory potential of science fiction. In the world of monsters that Haraway describes traditional concepts and categories are unleashed and all those “monstrous” others are welcomed whose identity, gender, and status deviate from existing rule systems, thus shaking conventional certainties. In addition to the writings of Donna Haraway, whose “Manifesto for a Cyborg” (1985) became the pioneer of early cyberfeminism, the “Xenofeminist Manifesto” by? the collective Laboria Cuboniks represents an important reference point of the group exhibition at Kunstverein Hildesheim. The “Manifesto for a Cyborg” is the theoretical basis for the revival of emancipatory thinking and action at the interface between feminist theory and technology.
With this background, we understand the exhibition Promises of Monsters as a place of cultural practice and space for joint critical reflection on both current forms of hegemony (economic, political, cultural and technological) as well as possible alternatives. The exhibition space is thus not only a presentation space for contemporary art, but also, freely adapted from Donna Haraway, conceived as a “contact zone” in which encounters with the unexpected, the stranger and the future occur. In concrete terms, the exhibition should be a space where people can linger, read and discuss. Through a comprehensive framework and mediation program, the exhibition will intent to stimulate a dialogue about the present and the future of society and art.
1 Csicsery-Ronay Jr., Istvan: The Seven Beauties of Science Fiction. Middletown, Connecticut 2008, S. 5.
Promises of Monster, Kunstverein Hildesheim, Pinar Yoldas, Ecosystem of Excess, Installationsansicht, 2017, Bild: Thomas Georg
Promises of Monster, Kunstverein Hildesheim, Marianne Vlaschits, Stardance, Installationsansicht, 2017, Bild: Thomas Georg
Promises of Monster, Kunstverein Hildesheim, Alice Peragine/ Safe Space For A Soft Crash, Michaela Melián/ Electric Ladyland, Installationsansicht, 2017, Bild: Thomas Georg
Promises of Monster, Kunstverein Hildesheim, Alice Peragine/ Safe Space For A Soft Crash, Michaela Melián/ Electric Ladyland, Installationsansicht, 2017, Bild: Thomas Georg
Promises of Monster, Kunstverein Hildesheim, Alice Peragine/ Audio Visual Room, Installationsansicht, 2017, Bild: Thomas Georg
Promises of Monster, Kunstverein Hildesheim, Alice Peragine, Audio Visual Room, Installationsansicht, 2017, Bild: Thomas Georg
Promises of Monster, Kunstverein Hildesheim, Marianne Vlaschits, Venus City, Installationsansicht, 2017, Bild: Thomas Georg
Promises of Monster, Kunstverein Hildesheim, Marianne Vlaschits, Venus City, Installationsansicht, 2017, Bild: Thomas Georg